Auszug aus dem Drehbuch

Die Autoren: Andrzej Mol, Miroslaw Jablonski

(Übersetzt aus dem Polnischen von Katarzyna Levi)

 

KELLERGEWÖLBE EINES KLOSTERS

Irgendwo in Europa um das 15. Jh. Das Licht eines in die Wand gesteckten Kienspans erhellt einen düsteren Innenraum der Klosterverliese. An einen hölzernen Stuhl gefesselt sitzt ein kahlrasierter Mönch. Auf seiner entblösten Schulter sieht man die Tätowierung eines vierblättrigen Kleeblattes. Es ist das Gleiche, das auf der Kutte zu sehen ist, die der verhörende Dominikanermönch in der Hand hält. Die einzelnen Buchstaben sind mit Goldfaden gestickten Buchstaben verziert – E, P, Ü, E. Der Finger des Dominikaners deutet auf einen von ihnen.

DOMINIKANER:
Sag Du Hund… was heisst das ?

Der Torturierte schweigt und lächelt nur. Der Dominikaner gibt ein Zeichen, worauf eine gebückte Gestalt aus dem Hintergrund auftaucht und den Schraubstock, der den Kopf des Verhörten einklemmt fester anieht. Wieder die Frage, aber diesmal wird das Schweigen durch leises Flüstern des Mönchs gebrochen.

MÖNCH:
Es gibt Wahrheiten, die Du nie erfahren wirst. Nicht einmal für den Preis Deiner Seele.

Er schliesst die Augen und in sich versunken beginnt er mit kaum hörbarer Stimme zu recitieren:

MÖNCH:
Und Du wirst herabsteigen, wo Dein Gedanke wandelt,
und es wird eintreten, was in Dir ist.
Ewigkeit und Augenblick,
nur er wird zu Fleisch.

Des Mönchs Stimme wird immer leiser, schliesslich schweigt er ins Nichts entgleitend. Der über seine Lippen gebeugte Mönch richtet sich auf, und sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse hilfloser Wut.
Er zieht ein Messer hervor, schneidet mit geübten Handgriffen die Haut um das Gesicht des Mönchs ein und reisst sie brutal weg, worauf die blutigen Muskeln und rollenden Augen sichtbar werden. Ohne Schrei. Der im Hintergrund sitzende Schreiber wendet erschreckt das Gesicht ab.

ARBEITSZIMMER IM PALAST DES VATIKANS.
INNENRAUM/ FREILUFT

Das Jahr 1936. Arbeitszimmer im Palast des Vatikans. Am Fenster den leeren St. Petersplatz, beobachtend, ein interessantes Gesicht. Es ist Anna Rowinska – Typ einer emanzipierten Frau etwas über Dreissig. Offensichtlich wartet sie auf jemanden. Nach einer Weile setzt sie sich in den Sessel und greifft zur Handtasche nach einer Ziarette, auf die sie jedoch verzichtet. Ins Arbeitszimmer tritt ein Würdenträger in Purpur. Nachdenklich bleibt er stehen.

WÜRDENTRÄGER:
Fürwahr, es gab so jemanden, aber man weiss nicht viel über ihn… Er wurde von Innocent V im Jahre 1488 exkommuniziert.

Er unterbricht und bkickt mit Missbilligung auf die Frau.

WÜRDENTRÄGER:
Du suchst den Teufel, Tochter… aber vergiss nicht, oft steckt er in uns selbst…

ANNA:
Ich gebe Ihnen völlig Recht, Eminenz, kommen wir jedoch zur Sache. So viel ich weiss, sind Ihre Heiligkeit auf die Bitte des Herrn Baron eingegangen und gestatten mir, die mich interessierenden Sammlungen…

WÜRDENTRÄGER:
Was solls, Blutbande, wenn auch entfernte verpflichte… Aber ich befürworte diese Entscheidung nicht. Im übrigen hat dies keine grössere Bedeutung, wenn es sich um die Dokumente, die Tätigkeit Innocent V betreffen handelt… sie sind unvollständig.

ANNA:
Dürfen etwa die Augen eines normalen Sterblichen nicht Alles einsehen?

WÜRDENTRÄGER:
Das meinte ich nicht… wie soll ich sagen…Ein Teil der Briefe ist verschwunden. Aber bitte folgen Sie mir, lassen Sie uns ins Archiv gehen…

VORLESUNGSSAAL IM PLANETARIUM

Breslau 1936. Vorlesungssaal der Universität. Halbdunkel, über den Köpfen der Zuhörer der Sternenkosmos des Planetariumgewölbes. Wir lernen Heller kennen, einen dreissigjährigen Mann, der eben seine Vorlesung beendet. Er spricht schnell, punktiert Thesen – eine starke Gestikulation unterstreicht die Überzeugung zu seinen Ansichten. Im Saal, ausser den Studenten ist ein Grüppchen greiser Professoren, offensichtlich schockiert über den Inhalt der Vorlesung, was an ihrem Verhalten zu sehen ist. Auf der sparsam beleuchteten Wandtafel sind Mathematische Gleichungen.

HELLER:
…Man kann sagen, dass der Begriff des “Vakuums” eine Weiterentwicklung und Konkretisierung der Begriffe “Leere” und “Nichtsein” ist, mit welchen sich früher Naturwissenschaften und Philosophie beschäftigten. Diese Idee verlangt nach einer physischen, wie auch philosophischen Überlegung. Das ist ein einzigartiges Kapitel der modernen Physik. Merken wir uns also: Das Vakuum ist im Unterschied zur Leere ein Feldzustand, der sich durch Nichtvorhandensein von Energie charakterisiert. Wir finden in ihm keinerlei wirkliche Elemente – Es ist ein potentielles Dasein. Aber nicht der ärmste sondern der reichste Typ Wirklichkeit, den er enthält alle möglichen Teilchen und Zustände, die bei entsprechenden Voraussetzungen aus ihm entstehen können. Raum, Materie sowie Zeit gehören zu ihnen…

Aus der Reihe der Professoren ein Schrei.

OSTROWSKI:
Ich kann einer These nicht zustimmen, die besagt, das Universum sei aus dem Nichts entstanden. Das ist absurd.

HELLER:
Und doch. In aktiviertem Zustand sprengt die zusammengeballte Energie das Feld, das sich wie ein Ballon aufzublähen beginnt und führt mit der Fortentwicklung seiner Ausmaße zur Entstehung von Materie, Wärme, Licht und Bewegung, die den Kosmos antreibt, also auch das Leben.

KLEINER:
Blödsinn. Das ist Metaphysik… Sie schaffen Wunder, eine mystische Welt wandernder Weiser. Ganz zu schweigen von Ihren Metaphern… aufgeblasener Ballon! Kein Wunder, daß Sie Ihre Stellung in Danzig verloren haben.

HELLER:
Ich wollte kein Bankert Newtons sein…

KLEINER:
Sie sind nicht nur ein inspirierter Diletant, aber auch noch ordinär! Ich werde dafür sorgen, dass Ihr Genie nie wieder die Schwelle unserer Universität überschreitet!

Kleiner und nach ihm eine Gruppe älterer Wissenschaftler verlassen ostentativ den Saal, begleitet vom Gelächter und Stampfen der Studenten. Heller fährt fort, als ob nichts wäre.

HELLER:
Fragen!

Ein Meer von Händen ensteht vor ihm. Heller nimmt alle Fragen zur Kenntnis, antwortet aber nicht sofort, als würde er sich zunächst einen Gesamteindruck davon machen wollen, was die Studenten nicht verstehen. Der Reihe nach ruft er die Fragenden auf.

STUDENT 1:
Wie könnte Ihrer Meinung nach die nächste Enthüllung unserer Realität aussehen. Würde die “Entwicklung” einer zusätzlichen Dimension eine gänzlich neue Qualität schaffen oder würde sie nur das erweitern, was wir bereits sehen.

STUDENT 2:
Die Quantentheorie besagt, dass man ein Teilchen zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Orten beobachten kann. Wäre es demnach auch möglich, dass ein Mensch zwei Dasein führen könnte, also in verschiedenen Realitäten, Dimensionen, Zuständen… oder wie man es auch nennen mag, existieren könnte?

STUDENT 3:
Kann etwas, das einmal zu exestieren begonnen hat, sein Ende haben? Jedes Ereignis kann doch eine Fortsetzung haben, die wir nicht sehen… Eine Art harmonischer Ausklang, eine unsterbliche Verewigung im Kosmos.

Für den Bruchteil einer Sekunde, ausserhalb der Realität der Vorlesung- – Der Raum zwischen der gläsernen Kupel des Planetariums und dem Gewölbe des Universitätsgebäudes. Von der Decke löst sich ein Ziegel – unnatürlich, im Zeitlupentempo fällt er hinunter…
Zurück zur Vorlesung.

STUDENT 4:
Stimmt es, dass Einstein etwas im “Bhagawadgita” sucht?

HELLER:
Ich fange von hinten an. Die kanonischen Schriften des Ostens enthalten im Gegensatz zu unseren ausser Anegdoten, also Heiligen, Wundern, menschlichen Niederträchtigkeiten und Belehrungen, auch kosmologische Abhandlungen über den Aufbau des Universums. Ihr einzigartiges Kapitel… Bhagawadgita spricht von sieben Hüllen unserer Realität, von denen vier sinnlich wahrnehmgar sind… nicht ausgeschlossen, dass er damit die Physiker inspiriert.

Wieder ein Knall. Durch die gläserne Kuppel des Planetariums bricht ein Ziegesplitter hindurch und erhellt den Innenraum mit einem unglaublich grellen Lichtkegel, als würde am Himmelsgewölbe ein neuer Stern erstrahlen. Todesstille tritt ein. Heller, für einen Augenblick überrascht, fängt an zu lachen.

HELLER:
Und das Wort ist Fleisch geworden.

Applaus breitet sich aus. Erst jetzt erkennen wir in der Menge der Zuhörer die finsteren Gesichter zweier Männer, die Heller aufmerksam beobachten – es sind Rohn und Kryger. Etwas weiter hinter, in der letzten Reihe wieder jemand von ausserhalb – es ist Manfred Evelius. Er jedoch, im Gegensatz zu den beiden anderen belohnt den Vortrag Hellers mit ruhigem etwas distinguiertem Applaus.
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ZUG. INNENRAUM/ AUSSENAUFNAHME

Es ist Nacht. Heller fährt mit dem Zug zurück nach Danzig. Er schaut irgendwelche Notitzen durch, danach geht er hinaus auf den Korridor, um zu rauchen. Als der Zug an einer kleinen Station Halt macht, beobachtet er durch das Fenster eine interessante Szene – auf dem Bahnsteig, neben einem Pferdegespann, an dem zwei Nonnen herumhantieren liegt jemand auf einer Bahre mit total einbandagiertem Kopf. Vermutlich hat man den Verwundeten eben aus dem Zug getragen und lädt ihn jetzt auf den Wagen. Die Szene beobachtend, erblickt Heller neben dem Verwundeten auf einmal eine Frau, bei deren Anblick er aufspringt und das Fenster zu öffnen versucht. Leider fährt der Zug weiter.

HELLER:
Anna!

Die Frau reagiert nicht; sie hört ihn nicht oder vielleicht ist es gar nicht Anna? Die Gestalten verschwinden in der Dunkelheit der Nacht.

DIE WOHNUNG VON ANNA UND HELLER

Das Zimmer im Halbdunkel, erhellt durch das schwache Licht einer Nachttischlampe. In der Bettwäsche eine nackte Frau, neben ihr Heller.

ANNA:
Ich kann wirklich nicht, ich will nicht…

Anna dreht sich um, den Kopf ins Kissen versteckend. Heller steht wortlos auf und beginnt sich anzuziehen.

HELLER:
Eine weitere Nacht ohne Pointe… was ist bloss mit Dir los?

Anna antwortet nicht.

HELLER:
Ich glaube, ich habe Dich auf einem kleinen Bahnhof gesehen. Wo warst Du die letzten Tage?

ANNA:
Du irrst Dich, ich bin nicht verreist.

Sie steht schweigend auf und zieht den Schlafrock an. Heller geht zum Schreibtisch, ostentativ sieht er die dort liegenden Altdrucke durch. Er ist wütend.

HELLER:
Ketzerei, Unmenschen, Prozesse, Inquisition… womit beschäftigst Du Dich eigentlich? Spinnst Du oder was? Und woher hast Du das Geld dafür?

ANNA:
Mach dich nicht lächerlich, das ist meine Arbeit…

HELLER:
Arbeit! Das ist Besessenheit… Du bist Anwältin und benimmst Dich wie eine Besessene. Du hast Dich verändert. Worum geht es hier eigentlich?

ANNA:
Kann ich nicht sagen. Berufsgeheimnis!

HELLER:
Vielleicht doch!

ANNA:
Du würdest es sowieso nicht verstehen, Du bist zu rational.

HELLER:
Ich bin zu rational! Mein Gott! Wenn es so wäre, wäre ich schon längst ausgezogen!

ANNA:
Mach was Du willst!

Sie schaut ihn mit erloschenen Augen an und verlässt das Schlafzimmer. Heller ist rasend vor Wut. Vergeblich versucht er sich auf eine auf dem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer liegende Arbeit zu konzentrieren. Wieder nimmt er den Altdruck der “Unmenschen” zur Hand. Sich der Lektüre des zufälligen Fragments hingebend, verbleibt er für einige Zeit in der Welt der Bilderwelt des Wahnsinns; Scheiterhaufen, Torturen, Prozesse usw.
Plötzlich ein Gesicht – der ausdrucksstarke, rücksichtslose Blick eines Mönchs (es ist der Dominikanermönch aus der Verhörszene), dargestellt auf einer der Illustrationen fesselt die Aufmerksamkeit Hellers. Hypnotisierende Augen, die man nicht vergisst….

Stille, die etwas unnatürliches in sich hat, herrscht in der Wohnung. Heller legt das Buch bei Seite.

HELLER:
Anna!?

Er steht auf und ist sichtlich beunruhigt. Nach einer Weile hört er ein Rauschen und kurz danach bemerkt er eine Wasserlache unter der Badezimmertüre. Er geht hinein. Die Badewanne ist überfüllt, auf dem Rand sitzt Anna den Blick starr vor sich gerichtet. Sie ist nackt und hält einen zerbrochenen Spiegel in den Händen. Tote, bewustlose Augen und in ihnen eine unbestimmte Leere. Sie ist hypnotisiert. Heller betrachtet sie stumm. Er setzt sich ihr gegenüber. Zwecklos versucht er sie aufzuwecken. Er betrachtet eindringlich ihr Gesicht; ihr Blick wird immer konzentrierter – bildet er es sich nur ein oder überzieht Annas Gesicht ein immer heller werdendes Leuchten. Ihre Augen… sie kommen immer näher; ihre Form, dann das Oval des Augapfels, die Regenbogenhaut, die Pupille und plötzlich…
… für den Bruchteil einer Sekunde erscheint die aufgewühlte Welt eines düsteren Korridors, danach ein steinerner Saal… man hört ein zunehmendes Pfeifen und über dem Kopf Hellers taucht plötzlich ein Weihrauch auf, eine Dunstwolke nach sich ziehend. Er ist an einem hohen, hölzernen Gewölbe befestigt; er bremst auf der anderen Seite des Saals, um die Richtung zu ändern und der sich verdünnende Rauch enthüllt die unbeweglich auf dem Boden sitzenden verhüllten Gestallten der Mönche… der Weihrauch kommt zurück. Er überfliegt die Köpfe der Sitzenden und nähert sich immer schneller… Nach einer Weile zerschlägt er den Kopf Hellers… sein Gesicht erstarrt im Ausdruck des Entsetzens, er will schreien doch seine Stimme versagt. Die Metallkugel kommt immer näher. Grauenvoller Lärm, dann Dunkelheit…

Heller wacht auf. Draussen ist Morgengrauen, und er liegt in einer Wasserlache auf dem Boden des Badezimmers. Anna ist nicht in der Wohnung. Heller setzt sich in den Sessel. Ein Augenblick zum Nachdenken und Konzentration zur Abreagierung dessen, was geschehen ist. Er geht zurück ins Bad. Seine Aufmerksamkeit zieht der zerbrochene und mit Lippenstift bemalte Spiegel auf sich. Er setzt die Glasbruchstücke zusammen – auf der Oberfläche wird die Zeichnung eines vierblättrigen Kleeblattes sichtbar…

 

 

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